Motivation
Ich habe mich für ein Erasmus-Semester entschieden, da ich nach meinem Bachelor in Psychologie und Freier Kunst mit dem Masterstudium im Interface Design ganz neu in diesen Fachbereich gekommen bin und neugierig war noch eine weitere Perspektive der Gestaltung kennen zu lernen. Da ich vor und während meines Bachelorstudiums schon mehrfach für längere Zeit im Ausland war, hatte ich zunächst eigentlich nicht geplant im Master nochmal weg zu gehen. Die Liste der Partnerhochschulen der Muthesius hat mich dann jedoch so überzeugt, dass ich es in Kopenhagen und Reykjavík einfach versuchen musste. Beide Orte sprachen mich hierbei sowohl von der Stadt selbst, als auch vom angebotenen Master-Programm besonders an. Ich habe mich also für den MA CoDesign in Kopenhagen und den MA Design in Reykjavík beworben und schlussendlich sogar von beiden Programmen eine Zusage erhalten.
Für den MA Design in Reykjavík habe ich mich dann besonders wegen der Ausrichtung des Programms entschieden. Es gibt an der LHÍ neben den Masterprogrammen in: Kunsterziehung, Komposition, Musik und Freier Kunst nur ein Masterprogramm im Design. Dieses ist ganz bewusst nicht in eine bestimmte Richtung spezialisiert und legt besonderen Schwerpunkt auf die Bereiche: Kollaboration, Gesellschaft, Nachhaltigkeit und Forschung. Schon in meinem ersten Semester an der Muthesius habe ich besonderes Interesse an diesem sozialen Verständnis des Designs gewonnen. Da die Studienstruktur der LHÍ zudem einen größeren Kontrast zu meinem Master hier in Kiel darstellte, als das in Kopenhagen der Fall gewesen wäre, habe ich mich letztlich entschieden nach Reykjavík zu gehen.
Organisation
Zur Bewerbung reicht man an der LHÍ neben Portfolio, Lebenslauf und Motivationsschreiben noch ein kurzes project proposal ein, in dem man beschreibt, woran man im individuellen Projekt arbeiten möchte. Hier würde ich empfehlen, sich schon vorab möglichst konkrete Vorstellungen darüber zu machen, was einen besonders interessiert. Das individuelle Projekt ist zeitlich sehr kurz und es hilft extrem schon genauere Vorstellung zu haben woran man gern arbeiten möchte, was jedoch nicht heißt, dass man diese nicht auch noch ändern oder Notfalls komplett über den Haufen werfen kann. Die weitere Organisation verlief von beiden Seiten aus sehr angenehm. Bis auf das übliche Erasmus-Prozedere gab es nur wenig Papierkram zu erledigen. Bleibt man nur für ein Semester braucht man als EUBürger auch keine isländische Sozialversicherungsnummer oder Kontoverbindung, weswegen ich auch in Reykjavík keinerlei Behördengänge zu erledigen hatte.
Wohnen
Da ich wußte, dass die Wohnsituation in Reykjavík nicht allzu entspannt ist und ich auf jeden Fall im Zentrum wohnen wollte, habe ich mich direkt nachdem ich die Zusage der LHÍ erhielt um ein Zimmer gekümmert und mir somit ziemlich viel Stress erspart. Das international office hatte hierzu eine Liste mit Wohnungsangeboten auf deren Facebook-Seite veröffentlicht und ich habe mir in einem der guesthouses ein Zimmer besorgt, die außerhalb der Touristensaison an Studenten vermieten. Die Mieten sind in Reykjavík mit durchschnittlich 500€ für ein WG Zimmer sehr viel höher als in Kiel und
leider haben sich die Vermieter scheinbar generell angewöhnt auch für Gäste eine Gebühr zu erheben. In den Vororten kann man mit ein wenig Glück auch günstiger ein Zimmer finden, muss dafür dann allerdings in Kauf nehmen, auf das recht unzuverlässige und teure Bussystem der Stadt angewiesen zu sein. Da das Stadtbild von Reykjavík außerhalb der Innenstadt sehr schnell den Charme eines Industriegebietes annimmt und auch das Fahrradfahren besonders im Winter aufgrund des Wetters und der Dunkelheit ziemlich gefährlich sein kann, würde ich also auf jeden Fall empfehlen nach einer Unterkunft in der Nähe des Zentrums zu suchen.
Island
Da ich bereits vor ein paar Jahren einen ganzen Sommer als Naturschutz-Volunteer in der traumhaft schönen isländischen Natur verbracht hatte, stand für mich immer fest noch einmal im Winter zurückkommen und neben der Landschaft auch Reykjavík selbst noch einmal besser kennen zu lernen.
Island hat ein sehr besonderes Klima, auf das man wirklich Lust haben muss. Generell ist es, wie eigentlich überall an der Küste, immer sehr windig und es regnet oft. Im Sommer wird es nicht wärmer als durchschnittlich etwa 15 Grad und von Juni bis August ist es Tag und Nacht hell. Im Winter hingegen wird es zwar nicht viel kälter als hier, jedoch geht die Sonne im Dezember erst gegen 11:30 auf und 15:30 schon wieder unter. Mit der Dunkelheit sollte man also keine Probleme haben, wenn man vor hat den Winter in Island zu verbringen.
Helga und Alma vom international office der LHÍ haben alle Erasmus-Studenten am ersten Tag des Semesters ganz herzlich bei Kaffee und Gebäck begrüßt und uns neben den organisatorischen Gegebenheiten der Hochschule auch über die Besonderheiten des Lebens in Island aufgeklärt. Da die Naturgewalten in Island von ganz anderer Art und Kraft sind als wir Mitteleuropäer das einschätzen können, haben sie uns beispielsweise besonders ans Herz gelegt immer, wenn wir die Stadt verlassen Bescheid zu sagen wohin wir fahren und wann wir vorhaben zurück zu kommen. Da sich die Wetterbedingungen in Island extrem schnell ändern können, kommen leider jedes Jahr wieder Touristen ums Leben oder begeben sich und ihre Familien unbewußt in extrem gefährliche Situationen. Um besonders die Wintermonate unbeschadet zu überstehen, haben sie uns zudem empfohlen auf jeden Fall zusätzliches Vitamin D einzunehmen, da sie immer wieder Austauschstudenten haben die durch den Lichtmangel krank werden. Ich habe mich hier der isländischen Tradition angeschlossen und jeden morgen einen Löffel Dorschlebertran genommen, was die ersten Tage zugegeben etwas Überwindung gekostet hat, womit ich jedoch ohne Probleme durch den Winter gekommen bin.
Reykjavík
Reykjavík ist auf den ersten Blick sicherlich nicht die schönste Stadt der Welt. Da architektonisch besonders die Moderne in Island sehr weitreichende Spuren hinterlassen hat, fallen neben den bunten Wellblechhäusern der Innenstadt, besonders die grauen Straßenzüge aus Beton auf. Bezieht man die Vororte nicht mit ein, leben in Reykjavík zudem nur etwa 120.000 Menschen, was die Stadt somit nur etwa halb so groß macht wie Kiel. Hinsichtlich des kulturellen Angebots, der Anzahl wirklich schöner Cafés, sowie einfach der Stimmung der Stadt, ist Reykjavík jedoch alles andere als provinziell und wiederum so gar nicht mit Kiel zu vergleichen. Die isländische Musik- und Kunstszene ist unglaublich aktiv und so gibt es fast jeden Abend irgendwo in der Stadt ein Konzert, eine Ausstellungseröffnung oder ein Filmfestival. Trotz des eher spröden Charmes des Stadtbilds, sieht man von fast jeder Ecke Reykjavíks das Meer und die angrenzenden Berge des Esja-Plateaus. Mir hat dieser Kontrast zwischen Stadt und Natur immer wieder bewusst gemacht, an was für einem besonderen Ort ich lebe. Muss man einfach mal raus aus der Stadt ist man zudem sehr schnell in den unvorstellbarsten Landschaften und kann somit den Alltag extrem gut hinter sich lassen.
Listaháskóli Íslands / Iceland Academy of the Arts
Die LHÍ ist mit etwa 500 Studenten ungefähr genauso groß wie die Muthesius. Neben dem Design/Architektur Department, das am Rand des Zentrums liegt, gibt es direkt in der Innenstadt noch das Musik/Theater/Tanz Gebäude und etwas weiter außerhalb das der Bildenden Kunst. Die verschiedenen Fachbereiche sind somit zwar räumlich getrennt, jedoch wird innerhalb der Lehre viel Wert auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit gelegt. Gleich zu Beginn des Semesters hatten wir ein einwöchiges Blockseminar in Kooperation mit den Masterstudenten der anderen Departments. Im Frühlingssemester gibt es im MA Design zudem ein Art Science Projekt, an dem neben den Masterstudenten der Freien Kunst auch Ingenieurstudenten der University of Iceland teilnehmen, sowie ein Together Projekt in dem die MA Design Studenten ein Team aus Bachelorstudenten des Mode- und Produktdesigns sowie der Architektur anleiten.
Die Interdisziplinarität zeigt sich jedoch auch unter den Masterstudenten im Design selbst. Nur etwa die Hälfte hat einen Designbackground und keiner davon hatte direkt zuvor einen Bachelor an der LHÍ gemacht. Alle haben sich mit diesem Master somit gemeinsam auf ganz neues Terrain begeben, was eine sehr angenehme Ausgangssituation ergab. Da es sich um ein internationales Masterprogramm handelt, waren wir im kompletten Programm insgesamt dreizehn Studenten aus zehn Ländern. Da alle Seminare auf Englisch stattfanden, gab es bis auf einzelne Vorträge die dann doch mal auf Isländisch waren somit auch keinerlei Sprachbarrieren. Die Isländer sprechen generell alle sehr gut Englisch, wodurch man auch im Alltag problemlos klarkommt. Das Masterstudium ist generell sehr viel durchgeplanter als es bei uns der Fall ist. Es gibt für die gesamten zwei Jahre einen Plan, in dem bis auf zwei Wahlpflichtfächer genau festgelegt ist, welche Seminare man wann belegt. Das lässt zwar wenig Spielraum auch mal einen Kurs außerhalb dieses Curriculums zu belegen, folgt allerdings auch einem genau überlegten Konzept, weswegen die Seminare sehr gut aufeinander abgestimmt sind. Da der Masterstudiengang erst ein paar Jahre alt ist merkt man an vielen Stellen noch dessen Modellcharakter, kann sich als Student jedoch auch sehr aktiv an der Gestaltung des Programms beteiligen.
Wir hatten beispielsweise einen festen Termin mit der Dekanin des Designdepartments, in dem sie zu jedem Seminar Feedback eingefordert und jeden unserer Verbesserungsvorschläge sehr ernst genommen hat. Neben der Kollaboration ist ein weiterer ganz wichtiger Schwerpunkt des Studiums die Nachhaltigkeit. Im Design Thinking Seminar haben wir uns daher weniger mit den Design Methoden selbst als vielmehr mit der Komplexität globaler Probleme beschäftigt und welche Rolle und Verantwortung hierbei das Design einnimmt. Generell war das Studium in Reykjavík mehr von der Frage nach den eigenen Werten und Motivationen geprägt, als vom Erlernen möglichst wertvoller Skills. Auch wenn die interdisziplinäre- sowie interkulturelle Zusammenarbeit auf keinen Fall immer einfach war, habe ich doch sehr viel mehr aus der Zeit in Reykjavík mitgenommen als ich mir das vorher hätte vorstellen können.