Tromsø, Norwegen
Ich entschied mich im Master ein Auslandsemester zu machen, da ich nach dem Bachelor an der gleichen Hochschule verblieben war und gerne ein anderes Lehrsystem kennenlernen wollte. Die Kunstakademie Tromsø ist die nördlichste Kunsthochschule der Welt und gleichzeitig eine der kleinsten. Von meiner Heimathochschule kenne ich die Vorzüge einer familiären Lehratmossphäre. Außerdem reduziert die vergleichsweise große staatliche Unterstützung junger Kunstschaffender in Norwegen den von außen in die Hochschulen eindringenden Konkurrenzdruck. Ziel war also neben meinen eigentlichen Studieninhalten, vor allem auch die Suche nach einer bestmöglichen Organisation von künstlerischer Lehre. Für meine eigenen Arbeiten war vor allem wichtig, aus meinem herkömmlichen Umfeld mit seinen eingespielten Ablenkungen auszutreten, um zu einer höheren Konzentration zu finden. So könnte ich besser herausfinden, was für meinen Arbeitsprozess wichtig und was hinderlich ist. (Die Betrachtung aller Faktoren: Soziales Umfeld, Stadt, Arbeitsräume und Geräte, Geld, Lokale Kunstwelt, Landschaft, usw.
Nach Tromsø bin ich mit dem Zug gereist, um ein Gefühl für die Distanz zu bekommen. Man kann über Schweden bis nach Narvik fahren (was von Kiel aus zwei Tage dauert), von dort aus geht ein Bus nach Tromsø, der etwa 5 Stunden braucht. Da das norwegische Herbstsemester im August beginnt war es bei meiner Ankunft noch ziemlich warm. Das erste was ich also gemacht habe, war nackig ins Meer zu springen! Momente des Freiheitsgefühls begeht man am besten nackt. Leider war das Meer voller stachliger Tiere und Rückweg entsprechend schwierig. Was sollte das bedeuten? Bevor ich weiter über höhere Mächte schwadroniere, folgen nun ein paar facts über Tromsø: Die Stadt liegt im Polarkreis, das bedeutet im Sommer geht die Sonne eine Zeitlang nicht unter und im Winter geht sie ebenso lange nicht auf. Sie hat um die 75.000 Einwohner und das Stadtzentrum befindet sich auf einer etwa 10 km langen Inseln, die in einem weiten Fjord zwischen dem Festland und der größeren Insel Kvaløya liegt. Während die Insel selbst sich nur 130 Meter über das Meer erhebt, sind die Berge im Umland teilweise über 1000m hoch. Die Gegend ist ein beliebtes Ziel für Touristen, die die Stadt als Ausgangspunkt für Wandertouren nutzen.
Angeblich ist die Suche nach einer Unterkunft in Tromsø sehr schwierig, aus unerfindlichen Gründen hatte ich Glück und fand über ein selbst geschaltetes Gesuch ein Zimmer in einer WG für umgerechnet 400 Euro, was in Tromsø günstig ist. Ach ja, natürlich ist in Norwegen alles teuer, das Erasmusgeld allein langt nicht hin, um die höheren Lebenshaltungskosten und Materialkosten für Kunststudierende zu decken. Da ich zusätzlich noch die Auslandsförderung der Studienstiftung zur Verfügung hatte, kam ich ganz gut über die Runden.
Die Kunsthochschule befindet sich nicht auf dem Campus der Uni Tromsø, sondern in einer umgebauten Brauerei im Stadtzentrum. Das Gebäude verströmt eine merkwürdige Büroatmosphäre, alle Ateliers haben nach innen Glaswände, damit „mehr Licht“ ins Gebäudeinnere fällt. Die Studierenden haben allerdings fast alle diese Wände zugestellt, zugeklebt oder zugehängt, um sich doch etwas Privatsphäre für das Arbeiten zu schaffen. Die Arbeitsplätze bieten Raum für bis zu 45 Studierende, derzeit sind es aber nur etwa 35, was bedeutet: viel, viel Platz! Die Kunstakademie ist erst 8 Jahre alt und verfügt erst seit zwei Jahren über anständige Werkstätten und Räumlichkeiten, alles wirkt demnach noch etwas neu und unberührt. Spirituelles Zentrum der Schule ist eine große gemeinsame Küche, die sie sich mit den Fachbereichen für Kreatives Schreiben und Landschaftsarchitektur teilt. Hier finden sich jeden Mittag Studierende und Lehrende ein und machen sich selbst ihr „lunsj“. Dies steht exemplarisch für eine wenig hierarchische Lehrauffassung und ein gewissermaßen ganzheitliches Kunstverständnis. Obwohl die Schule so weit abseits der Kunstzentren liegt, sind die Diskurse nicht der Zeit hinterher. Alles was derzeit Mode im Kunstdiskurs ist, wird auch hier besprochen: Gender-Thematik, New Materialism, Relational Aesthetics, Dark Ecology, Posthumanity sind Themen, die mir dort alle auf die eine oder andere Art begegnet sind. Man strengt sich fast ein wenig zu sehr an, aktuell zu sein, was ein Versuch sein könnte, der gefühlten Abgeschiedenheit entgegenzuwirken. Durch regelmäßige Vorträge und Workshops von Gastdozenten werden Studierenden mit vielfältigen Ausprägungen des zeitgenössischen künstlerischen Arbeitens bekannt gemacht, was sich auch in den studentischen Arbeiten wiederspiegelt. Die Kombination aus Professoren und Gastdozenten führt bei etwas Eigeninitiative zu einer gründlichen und abwechslungsreichen Betreuung der studentischen Arbeiten. Es finden ebenfalls viele Gruppendiskussionen statt, folglich lernt man die Arbeiten der Kommilitonen ziemlich gut kennen.
Zu kurz kommen vielleicht einige handwerkliche Aspekte, so dass ich mit meinen bildhauerischen Problemen alleine klar kommen musste. Es ist aber auch eine gute Erfahrung, nicht zu jeder Frage sofort die richtigen Techniker zur Verfügung zu haben, so habe ich ein gutes Gefühl für meine eigenen technischen Fähigkeiten bekommen. Ebenso führte mich die Begrenzung der Mittel (auch Rohstoffe sind nicht so leicht zu beschaffen, Gips z. B. muss erst aus Oslo eingeschifft werden) dazu, mich wieder dem Zeichnen zuzuwenden. Insgesamt kann man hier ganz gut für die Zeit nach dem Studium trainieren.
Am Ende jedes Semesters gibt es eine Abschlussausstellung, die meines Jahrgangs wurde als Teil eines Austauschs mit der Kunsthochschule Weißensee nach Berlin verlagert, also mussten wir alle unsere Projekte den Gepäckregulierungen der SAS-Fluggesellschaft anpassen. Ich musste meine Gipsarbeiten abbrechen und habe anstatt dessen eine Installation aus Skiern, sowie eine Serie von Kreidezeichnungen auf dünnen schwarzen MDF-Platten vorbereitet. Berlin hat mich dann wieder daran erinnert, weshalb ich Orte wie Tromsø den „Kulturhauptstädten“ vorziehe. Es ist viel zu voll und seit Kunstgeschichte nicht mehr linear sondern punktuell verläuft, gibt es auch nichts Gemeinsames in der Kunst mehr, weswegen es sich lohnen würde, in eine der Kunstmetropolen zu ziehen. Da wir die Kunst nicht mehr als ein übergeordnetes Abstraktum zusammen weiterentwickeln ist auch Konkurrenz eine rein wirtschaftliche Angelegenheit geworden. Kunstmetropolen sind nicht mehr im eigentlichen Sinne Metropolen der Kunst, sondern Metropolen der Kunstwirtschaft. Ich bin nach Tromsø gegangen, um genau das Gegenteil hiervon zu suchen. Ich habe aber gehört, dass nichts schwarz-weiß sei, daher die Einschränkung: Warum ginge man denn von Tromsø aus nach Berlin, wenn man nicht doch glauben würde, dass dort der Zeitgeist verweilt? Denn man geht ja dort nicht hin, um der Dinge Andersartigkeit willen, sondern um nachzusehen, wie sehr man sich gleicht. Andersherum gehen die Berliner vielleicht nach Tromsø, um einem gewissem Bedürfnis nach Exotischem nachzukommen, das gibt es allerdings nirgendwo mehr, es gibt Internet.
Ziemlich schön an Tromsø ist das spürbare Zusammenwirken der verschiedenen Kunstinstitutionen der Stadt, also zwischen Kunsthochschule, lokalen Ausstellungsräumen und der Fakultät für Kunstgeschichte. Es wird bewusst eine Politik verfolgt, die es zum Ziel hat eine lebendige Kunstszene in Tromsø aufzubauen. Durch den regen Kontakt unter den Institutionen ist es für junge KünstlerInnen nicht so schwierig in dieser Welt einen Platz zu finden, man wird wahrgenommen, ohne sich vorher anbiedern zu müssen. Auch die unabhängigen, „studentischen“ Galerien sind mit ausreichend Mitteln unterstützt, so dass Eigenengagement nicht sofort wieder erstickt. Die von ehemaligen Studenten betriebene Galerie „Kurant“ organisierte im September eine Ausstellung in einem nicht mehr genutzten unterirdischen U-Boot-Hafen, mitsamt Fährfahrt zum Ausstellungsort.
Neben dem Studium habe ich mich der Erkundung der Umgebung verschrieben und solange das Wetter noch gut war einige Wandertouren unternommen. In den Lyngenalpen fand ich einen Gletschersee, aus dem man beim Schwimmen gleichzeitig Trinken konnte. Außerdem habe ich noch Senja und die Lofoten besucht, überhaupt lassen sich von Tromsø aus viele schöne Orte per Fähre erreichen. Leider sind dabei mir keine Elche begegnet, jedoch einige Rentiere, ein Otter und viele verschiedene See- und Waldvögel.
- Auslandsbericht Oslo 2016, Jakob Grebert
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- Auslandsbericht Oslo Jakob Grebel
- Auslandsbericht Oslo 2016, Jakob Grebert
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