Ein sommerliches Wintersemester in Lissabon
Anika Dier, KoDe, WS 2011/12
Ich war vor ein paar Jahren schon einmal in Lissabon und auch damals schon fasziniert von der Stadt. Umso schöner fand ich es, nun ein halbes Jahr dort studieren zu dürfen. Mein Entschluss hierzu kam recht spontan. Ich hatte gar nicht mehr geplant vor dem Bachelor ein Auslandssemester zu machen. Nachdem meine Freundin und Kommilitonin mir erzählte, dass sie sich mit einer anderen Muthesiusstudentin für ein Auslandssemester in Lissabon hat eintragen lassen, habe ich mich für sie gefreut, aber es ließ auch mein Fernwehherz wieder höher schlagen. Als dann die ursprüngliche Reisegefährtin doch absprang, habe ich die Chance genutzt und mich an ihrer Stelle angemeldet. Es folgten also die nächsten Schritte: die Bewerbung an der Gastuniversität, das Untervermieten meines WG-Zimmers und alle Vorbereitungen für den Lissabonaufenthalt. Dann Anfang September ging es los.
Das Faszinierende an Lissabon ist die Vielfältigkeit, es gibt so viel zu sehen und zu erleben. Die prächtigen Bauten, die kleinen Treppen und Gassen, die alten Häuser mit ihren Wäscheleinen, die schönen Aussichtsplätze über die Stadt sowie über die Flussmündung des Tejo haben einen unglaublich schönen alten, traditionellen Charme, der sich mit den modernen, jungen Einflüssen einer Hauptstadt mischt. Es ist eine der ältesten Städte Europas, mit einer beeindruckenden Geschichte über das damalige Kolonialreich und der ruhmreichen Seefahrervergangenheit, die immer wieder von verschiedenen Katastrophen heimgesucht wurde. Doch obwohl Lissabon eine Großstadt ist, wirkt alles angenehm klein und zentral. Die vielen Leute aus unterschiedlichen Kulturen, die farbig gestrichenen oder gekachelten Häuser der Maurenzeit, die Graffiti und die knallgelbe alte Straßenbahn ergänzen sich zu einem bunten, lebendigen Stadtbild.
Wir hatten das Glück, dass die alte Straßenbahn für uns das naheliegendste Verkehrsmittel zur Uni war, wobei man öfter etwas geduldig sein musste, wenn mal wieder ein Auto auf den Schienen geparkt hatte. Deshalb sollte man sich nicht wundern, wenn man manchmal entweder länger auf die Bahn warten muss oder aber gleich drei hintereinander kommen. Die Portugiesen sind generell ein sehr entspanntes, gemütliches Völkchen. Oft lehnen sich ältere Frauen aus dem Fenster um mit vorbeilaufenden Bekannten zu plaudern und nicht selten wird man beim Warten auf die Bahn mit der Lebensgeschichte einer Portugiesin unterhalten. Wenn wir die Leute anfangs nach dem Weg gefragt haben und sie kein Englisch konnten, haben sie entweder wild gestikuliert oder uns gleich bis vor die Haustür gebracht.
Wir haben in Graça gelebt, einem sehr schönen alten Viertel auf einem der sieben Hügel von Lissabon. Es gibt dort winzige Bürgersteige, auf denen man den anderen Passanten regelmäßig ausweichen muss. Graça befindet sich direkt über Alfama, dem ältesten Viertel der Stadt. Es ist ein Labyrinth aus vielen kleinen verwinkelten Gassen und Treppen, wunderschön zum verlaufen. Unsere Wohnung hatten wir bereits im Voraus durch eine andere Muthesiusstudentin gefunden, die bereits in Lissabon studiert hatte. Deswegen kann ich zur Situation der Wohnungssuche vor Ort nicht allzu viel sagen. Wie ich es aber von den anderen Erasmusstudenten mitbekommen hatte, sollte das nicht so schwierig sein.
Mit dem Wetter hatten wir auch sehr viel Glück, die ersten 2- 3 Monate konnten wir an einem der Strände rund um Lissabon surfen oder einfach nur die Sonne genießen. Das Atlantikmeer bot dann eine schöne Abkühlung. Und auch in den Wintermonaten war das Wetter, abgzüglich einer Handvoll Regentage, sehr schön. In den Häusern kann es abends aber ziemlich kalt werden, da es dort üblicherweise keine Heizung gibt. Oft konnte ich tagsüber noch im T-Shirt rumlaufen und bin nachts wiederum mit zwei Schlafhosen und zwei Decken ins Bett gegangen.
Am besten verlässt man abends einfach das Haus. Abends ist in Lissabon immer viel los. Vor allem im Viertel “Bairro Alto” sind etliche kleine Bars aneinandergereiht, wobei sich das eigentliche Geschehen auf den Straßen davor abspielt. Rundherum gibt es weitere Möglichkeiten das Nachtleben auszukosten. Es gibt überall, auch tagsüber, viel Livemusik zu hören und es ist nicht ungewöhnlich, dass Leute bepackt mit einer Tuba auf der Schulter oder einem riesigem Cello an einem vorbei laufen.
Die Universität “Faculdade de Belas-Artes” befindet sich in einem alten Gebäude direkt im Zentrum. Es gibt ein großes Kursangebot, dass besonders auf Zeichnen und Malerei ausgelegt ist und generell eher künstlerisch orientiert ist. Man hat aber die Möglichkeit die Kurse frei zu wählen und in alle Kurse vorher rein zuschnuppern oder mit den entsprechenden Professoren/-innen zu sprechen, um zu schauen, was einen im Kurs erwartet und ob er zu theoretisch ausgerichtet ist. Nach dem wir uns einen Einblick verschafft hatten, entschieden wir uns dann für zwei verschiedene Kommunikationsdesignkurse. Die sprachliche Barriere war eigentlich kein Problem, der Unterricht fand zwar auf Portugiesisch statt, die Professoren/-innen haben sich aber viel Mühe gegeben, uns die Aufgabenstellung zu übersetzen und unsere Fragen zu beantworten.
Der Unterrichtsaufbau an sich war anders als ich ihn aus Kiel kenne. Oft wurde im Kurs an den aktuellen Projekten gearbeitet. Dadurch konnte man aufkommende Fragen direkt stellen und Anregungen gleich umsetzen. Dann gab es Einzelkorrekturstunden, allerdings meistens ohne vorher festgelegter Reihenfolge, also musste man oft länger warten, bis man aufgefordert wurde, seine Arbeiten zu zeigen. Der größte Unterschied lag aber darin, dass es keine große, umfassende Semesteraufgabe gab, sondern mehrere kleine Aufgaben, für die eine Bearbeitungszeit von 2-3 Wochen angesetzt wurde. Für mich war es sehr interessant unter diesen Bedingungen zu arbeiten, man musste sich immer wieder innerhalb kurzer Zeit auf ein neues Projekt einlassen und der Zeitdruck für die einzelnen Arbeiten war noch intensiver. Es war bestimmt ein gutes Training für den späteren Berufsalltag, allerdings fand ich es schade, dass ich für mein Empfinden größtenteils halbfertige Arbeiten abgegeben habe, da ich sie nicht richtig ausarbeiten konnte und manchmal die erst beste Idee reichen musste oder die Umsetzung nicht ganz zufrieden stellend war. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die konstruktive Kritik der Professoren/-innen, aufgrund der kurzen Projektzeit, sehr viel harmloser ausfiel.
Die Universität bietet einen Portugiesischsprachkurs an, der zwei Mal die Woche parallel zum Studienalltag stattfindet. Wir haben vorher zusätzlich einen 3-wöchigen Intensiv-Sprachkurs (EILC) in Lissabon besucht, welcher vom Erasmusprogramm unterstützt wird und sich auf jeden Fall lohnt.
Ich bin froh, dass Auslandssemester in Lissabon verbracht zu haben und kann es nur jedem empfehlen. Es war eine tolle, spannende Zeit mit vielen neuen Eindrücken. Das Semester ging schnell vorüber, und es war nicht einfach, die liebgewonnene Stadt und die neuen Bekanntschaften zurückzulassen und die portugiesische Sonne wieder gegen die norddeutschen Winter einzutauschen.