Ich studiere freie Kunst und Keramik an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel im Master. Ich bin 25 Jahre alt und war für 8 Monate von Januar bis September in Oslo an der National Academy of the Arts, um dort mein vorletztes Mastersemester zu absolvieren eine traumhafte Zeit!!
Vorbereitung
Norwegen: Kälte, lange Winter, Dunkelheit, eigenbrötlerische Menschen, unendliche Einsamkeit, schlechtes Wetter, nichts los, nur: Weite, Stille und Natur pur – genau da will ich hin. Den Koffer voll mit handgestrickten Mützen und warmen Wollsocken, die ich als Abschiedsgeschenke von meinen Freundinnen bekommen habe, geht es im Januar endlich los.
Seit ich 14 bin und das erste Mal mit meinen Eltern in Norwegen im Urlaub war, ist es mein größter Traum nach Norwegen auszuwandern, dementsprechend kam für ein Erasmusjahr für mich auch kein anderes Land in Frage. Ich habe die Sprache seit drei Jahren an der Uni gelernt und habe jede Ferien in Norwegen verbracht um mir irgendwann diesen Traum zu erfüllen. Nirgendwo auf der Welt fühle ich mich so zuhause wie hier, trotzdem war ich immer nur die Ferien über hier und habe noch nie den Alltag in Norwegen erlebt. Dafür und auch um für meinen künstlerischen Weg neue Inspirationen und Einblicke zu bekommen wollte ich unbedingt für ein Jahr in diesem Land leben. Dreimal habe ich es versucht und dank der Erasmuskoordinatorin der Muthesius Kunsthochschule hat es schließlich auch geklappt, sogar recht unproblematisch. Ich habe alle erforderlichen Unterlagen im Fernwehbüro der Muthesius Kunsthochschule abgegeben und ein Monat vor Start kam dann die Zusage! Ich war der glücklichste Mensch der Welt. Und dann ging alles ganz schnell. Zusammen mit meinen besten Freundinnen bin ich mit der Colorline angereist, was sehr problemlos war und es mir ermöglicht hat viel Gepäck mit zu nehmen. Bereits ein wunderbarer Auftakt.
Unterkunft
Am Anfang bekam ich von der Kunsthochschule Oslo ein Zimmer in einem Wohnheim am Carl Berner plass gestellt, was im Vergleich zu Deutschland mit 500 Euro im Monat unglaublich teuer war, im Vergleich zu Oslo aber die billigste Alternative. Verglichen mit den Deutschen Wohnheimen war meins sehr, sehr sauber und gut ausgestattet. Zudem gab es auch Wohnheime für 400 Euro (Sogne und Kringså), die weiter außerhalb liegen, und in denen die meisten Erasmusstudenten untergebracht sind. Da ich im Hinterkopf aber immer meinen Auswandergedanken und mein großes Interesse an dem Land hatte, bin ich in ein Wohnheim gezogen, in dem überwiegend Norweger wohnten, was ich nie bereut habe, auch wenn der Start so sicher einsamer und schwerer war. Nach 5 Monaten bin ich dann umgezogen, in eine norwegische Familie, die ich kannte und die so nett war mich zwischenzeitlich aufzunehmen, damit ich die Miete sparen kann. Das war mit Abstand meine schönste Zeit hier und daraus entstand die beste Freundschaft die ich hier schließen konnte. Wie selbstverständlich gehörte ich zur Familie dazu und bekam so einen Einblick in das norwegische Familienleben und in norwegische Traditionen.
Als ich da ausziehen musste bin ich in eine WG in der berühmt berüchtigten Munkegata gezogen. Nach dem heilen Familienleben, ein wahrer Schock, aber auch ein Erlebnis und mit Abstand die lustigste Zeit. Wir haben zu 6 in einem Zimmer geschlafen, in dem jeder eine Ecke hatte und dafür auch noch ein halbes Vermögen bezahlt. Alles dreckig, alles rott, aber nette Leute und nette Gemeinschaft.
Für mich war es sehr schön, dass ich auf diese Weise alles einmal erleben konnte und ich möchte keine dieser Zeiten missen.
Studium an der Gasthochschule
Das Studium war für mich eine sehr zweischneidige Erfahrung, was vielleicht auch daran liegt, dass es mir manchmal schwer fällt meine „deutsche Denke“ abzulegen und einfach zu genießen.
Die Organisation des Studiums war super gut und einfach. Die Tutoren haben sich rührend um mich gekümmert, mich am ersten Tag herzlich begrüßt und persönlich der ganzen Schule vorgestellt. Ein sehr lustiger Tag, an dem ich bestimmt 300 Norwegern die Hand geschüttelt habe. Alles war um einiges unkomplizierter als in Deutschland, dafür war aber auch vieles um einiges verschulter, was den Stundenplan anging, nicht dagegen die Vorlesungen selbst. Es gab viel mehr Workshops, Technik und Handwerkkurse, aus denen ich unglaublich viel mitgenommen habe, in denen ich aber manchmal das zielgerichtete Projektarbeiten vermisst habe. Die Ausstattung der Kunsthochschule war schlicht weg unfassbar. Es gab einfach alles, was man sich vorstellen und erträumen konnte und von allem immer das Beste. Wer die Chance hat hier einmal zu studieren sollte sich das nicht entgehen lassen! Aber es war auch oft so, dass man sich alles selbst beibringen musste, das man Tage lang alleine verbracht hat, da jeder nur seinem eigenen Plan folgt, die Schule ist so groß, dass man sich nicht zwangsweise trifft.
Vermisst habe ich zum Beispiel sehr den Austausch der Studenten untereinander über Arbeiten und auch gute Tutorien mit Lehrenden. Alle Lehrenden haben ein unglaubliches handwerkliches Können und Wissen aber man muss es ihnen schon sehr aus der Nase ziehen. Außerdem gilt in Norwegen die Ansicht jeder Mensch ist gleich, was eine super schöne Idee ist und was ich in vielen Bereichen einfach nur genossen habe, was an der Schule aber ein Problem war. So gab es nie Kritik, auch nicht von Lehrenden, da das ja anmaßend wäre und man stellt sich nicht über den anderen, es gibt keinen der besser ist. Kritik, kritische Fragen, Nachfragen überhaupt oder Input auf mich zurecht geschnitten habe ich mir manchmal sehr gewünscht. Auch habe ich nicht gewusst was meine Kommilitonen machen, man musste schon hingehen und fragen um das herauszufinden, was ich etwas schade fand, da ich glaube, dass es die Arbeit sehr bereichern würde.
Auf der anderen Seite war es dann wieder das herzlichste Miteinander was man sich wünschen kann, geschweige denn an einer Hochschule vorstellen kann. So haben wir mittags immer zwischen 12 und 13 Uhr zusammen gegessen, es gab Exkursionen mit dem WV Bus der Professorin, gemeinsame Gletschertouren, Grillabende. Ich war mit meinen Professorinnen zusammen Skilaufen, Grillen und habe mit Ihnen einen äußerst amüsanten Saunaabend verbracht mit anschließendem Joga auf den Felsen. Was an manchem Ort in Deutschland nicht vorstellbar ist, wo ich mich immer frage warum nicht? Es kann so einfach und so schön sein und trotzdem funktioniert hier alles und es gibt Respekt und Achtung.
Was ich jedem empfehlen kann und was mir unglaublich geholfen hat war, dass ich die norwegische Sprache vorher sehr, sehr gut konnte. Es sprechen zwar alle Norweger perfekt Englisch, sodass Kommunikation nie ein Problem ist, aber ich habe mehrfach erlebt, dass sie um einiges herzlicher, mehr interessiert und gesprächig sind, wenn man ihre Sprache spricht. Mir hat das am Anfang verglichen mit den anderen beiden Austauschstudenten sehr viele Türen geöffnet und mir den Kontakt um einiges einfacher gemacht. Oder auch das Vertrauen von Familien viel schneller gegeben. Auch die Vorlesungen waren alle auf Norwegisch.
Alltag und Freizeit
Natur
Was die Freizeit Beschäftigung angeht ist Norwegen wohl kaum zu toppen!!! Gerade wenn man wie ich ein absoluter Outdoor-Mensch ist. Oslo ist der perfekte Ausgangspunkt für alles. In gerade mal 15 Minuten kommt man mit der Tram oder dem Boot raus aus der Stadt in den Wald, ans Meer, auf die Inseln oder an wunderschöne Seen. Im Winter war ich jeden Abend Skilaufen auf beleuchteten tiefverschneiten Pisten mitten im Wald ohne eine Menschenseele zu treffen. Nördlich an Oslo grenzt die Nordmarka, ein riesiges Gebiet nur unbebauter Wald und überall gibt es die gemütlichen typisch norwegischen Hütten, an denen man traumhafte Wochenenden alleine oder mit Freunden verbringen kann. Im Sommer kann man wunderbar zu den Inseln im Oslofjord fahren, grillen, baden oder wandern gehen. Besonders gut hat mir auch der Strand in Bygdøy (Huk) gefallen, zwischen Felsen und Kiefern ein perfekter Ort um Ruhe zu finden und die Gedanken schweifen zu lassen zu jeder Jahreszeit. Ansonsten fand ich es immer sehr schön in der Ostmarka, die weniger bekannt und angepriesen ist als die Nordmarka, aber noch um einiges ursprünglicher. Tagelang bin ich um den Nökkelvann und den Lutsvann gestreift und habe die Stille und den Frieden genossen und habe unter Sternenhimmel in glasklaren Seen gebadet.
Wer ein echter Naturfan ist sollte sich überlegen dem DNT, Norwegischen Wanderverein beizutreten, was für Studenten sehr preiswert ist und man kann so günstig in den norwegischen Hütten im ganzen Land übernachten und auch Schlüssel für Hütten ausleihen.
Reisen
Oslo ist der perfekte Ausgangspunkt für Touren durch ganz Norwegen. So war ich unter anderem in Bergen, in der Hardangervidda, und auf den Lofoten. Alles unvergessliche Touren.
Kultur
Auch an Sehenswürdigkeiten und als Stadt hat Oslo einiges zu bieten, wie ich als nicht Stadtmensch entdecken durfte. Der Holmenkollen, das urige Kaffe in Frognersetteren mit der besten Aussicht und viele tolle Museen, wie das Frammuseum, die National Galerie, das Kunst und Industriemuseum und das Naturkundemuseum. Mir hat auch der Beitritt in eine Studentengemeinde den Anfang sehr erleichtert, wo man immer Gemeinschaft fröhliches und unkompliziertes Miteinander findet.
Alltag
Essen und Einkaufen
Es empfiehlt sich sehr auf Preise und Angebote zu gucken. Am besten und billigsten kann man in Grönland einkaufen wo es sehr leckere Gemüsestände gibt. Ansonsten empfiehlt es sich bei Kiwi und Rema 1000 einzukaufen, da das die billigsten Ketten sind. Alles was man sonst noch so braucht gibt es bei Class Ohlson, eine Mischung aus dem deutschen Karstadt und Rossmann. Ansonsten kann man Kleidung und Haushaltssachen günstig bei Fretex kaufen, einer Kette die second-hand Sachen anbietet. Ein großer Spaß ist es auch am Wochenende über die norwegische löpemärkte zu tingeln. Sehr vorteilhaft ist es sich unbedingt vor der Reise eine Kreditkarte anzuschaffen, da man die hier eigentlich ständig braucht.
Fazit
Für mich war dieses Jahr in Norwegen eines der schönsten Jahre meines Lebens und ich bin sehr schwer wieder nach Kiel zurück gegangen und wäre gerne für immer geblieben. Ein Fazit was sicher jeder Erasmusstudent in seinem Bericht schreibt. Aber für mich war es in vielen Punkten die Bestätigung eines langen Traumes und einer langen Sehnsucht. Aber da ich immer diesen Gedanken im Hinterkopf hatte gab es auch Erfahrungen, die schwer waren. Hatte ich mich vorher von meiner Mentalität her immer Skandinavisch gefühlt, so musste ich hier doch feststellen, dass es genau diese Mentalität war, die manche Situation schwer machte. So war es am Anfang unglaublich schwer Norwegische Kontakte zu knüpfen, mit Norwegern etwas zu unternehmen. Ich liebe es dass die Norweger noch so familiär sind, jedes Wochenende ziehen die Familien in den Wald auf Hüttentour, ein Erlebnis, das man nicht ausschlagen sollte, wenn man die Chance dazu bekommt. Aber auch das stellte ein kleines Problem dar, wenn man keine Familie hier hat. Es ist sehr schwer in solche Gruppen reinzukommen und mitunter etwas einsam. Man muss Einsamkeit mögen und mit sich selbst im Reinen sein um im Winter nicht in Grübeleien zu enden.
So sehr ich die Unkompliziertheit der Norweger, die fehlende Hierarchie an der Schule beispielsweise, den netten Umgang, die lockere Atmosphäre an der Kunsthochschule, das Leben in der Natur und den Sinn für schlichtes und einfaches Leben genossen habe so fehlten mir nach einiger Zeit doch tiefgründigerere Diskussionen, der Ehrgeiz, Internationalität, zielstrebiges Arbeiten und Kritik, was in Norwegen vielleicht einfach nicht nötig ist. Auch wenn dies sicher alles Punkte sind, die man in gewisser Weise selbst in der Hand hat. Erst nach 4 Monaten habe ich erlebt, dass mir ein Norweger eine Frage gestellt hat, Interesse offen gezeigt hat. Wie ich später feststellen musste liegt auch das in der Mentalität verankert, man will nicht aufdringlich sein, nicht zu persönlich. Ich dagegen habe immer gedacht unhöflich zu sein, wenn man den nie fragenden Menschen so viel über sich erzählt oder sich gar selbst einlädt. Aber mein soziales Leben wurde abrupt besser, als ich genau das tat und plötzlich wachten auch die Norweger auf.
Auch musste ich immer wieder feststellen, dass ich zwar in der Hauptstadt studiere, die Schule aber um einiges „provinzieller“ war als unsere in Kiel auch wenn es in Oslo die Top Ausstattung gab mit allem was man sich nur wünschen oder erträumen kann. Aber viele Studenten wissen es nicht zu schätzen, waren noch nie außerhalb von Norwegen. Was wiederum auch schön war, da so alles super familiär ist.
Sehr genossen habe ich dagegen die super gute Ausbildung im Handwerk. Manchmal habe ich gedacht es wäre schön, hätte ich all diese Erfahrungen nicht in meinem letzten Studienjahr gemacht sondern etwas früher. Ich habe mich nie den Erasmusleuten angeschlossen, da ich kein Partymensch war und auch einfach häufig älter und dieses Austauschjahr nicht mein erstes Abenteuer war. Und von der Kunsthochschule hätte ich gerne die Handwerkliche Ausbildung Norwegens am Anfang genossen, mir für mein letztes Jahr aber eher mehr konzeptuelleres Denken und mehr Austausch, wie ich es von Kiel kannte gewünscht, was aber vielleicht auch von Person zu Person unterschiedlich ist
Trotzdem lassen die atemberaubende Natur, die Weite, der Frieden und immer die Möglichkeit zur Einsamkeit, die norwegische Mentalität, die fehlende Hierarchie und die Achtung vor einander und auch die Sprache mich hier immer zuhause fühlen.
Und ich bin mir sehr sicher, dass ich irgendwann für immer her gehe auch wenn es sicher länger als in anderen Ländern dauern wird hier richtig Fuß zu fassen.
Es war eines der schönsten Jahre und ich habe Natur, Zufriedenheit und Lebensfreude für die Ewigkeit getankt, nette Menschen kennengelernt und ein Zuhause gefunden.