Ein Semester in Maastricht
Maastricht war mein Notfallplan. Ich hatte keine Ahnung worauf ich mich einlasse und ehrlich gesagt auch inständig gehofft, dass mein Plan A Kopenhagen mich annehmen würde. Der Rat aus dem Fernwehbüro, mir noch einen Plan B anzulegen, war jedoch sehr gut. Die Bewerbung war sehr schnell und fast schon zu unkompliziert: Ein Formular musste ausgefüllt, der Personalausweis kopiert und ein Motivationsschreiben verfasst werden. Hätte mir vorher jemand gesagt, dass fast alle der Dozenten an der MMIA (Maastricht Master Interior Architecture), einem der zwei Masterstudiengänge der ABKM (Academies Beeldende Kunsten Maastricht) die wiederum zur Hogeschool Zuyd gehört, Deutsch sprechen und ein Großteil sogar aus Deutschland ist- ich hätte mir einiges an englischem formulieren gespart. Einem Bauchgefühl folgend schickte ich mein Portfolio in ausgedruckter und selbst gebundener Form an Josef Bischofs, den Dekan der MMIA. Eine digitale Bewerbung wäre auch möglich gewesen, aber wie sich heraus stellte legt die MMIA sehr viel Wert auf Haptik und Form aller Arbeiten, was sich digital schlecht transportieren lässt.
Acht Wochen später hatte ich die Zulassung. Die Organisation der MMIA hat leider zu einiger Verunsicherung geführt- bei der Zulassung (ich musste nachfragen, weil ich weder eine Zusage noch eine Absage bekam), beim Semesterbeginn (ich wurde einen Monat zu früh nach Maastricht bestellt) und bis zum Ende des Semesters.
Mit der Zusage fing die Suche nach einer Wohnung an und damit begann der Stress: Maastricht ist eine Studentenstadt, vergleichbar mit Göttingen. Der Wohnungsmarkt ist komplett überlaufen und das spiegelt sich leider auch im Niveau der Wohnungen und im Preis/Leistungsverhältnis wieder. Es ist hier üblich bei jeder Neumietung eine sogenannte „Agency Fee“ (ähnlich einer Maklerkurtage) zu zahlen, die sich auf zwischen 300-800Euro beläuft. Dazu kommt noch die Kaution und natürlich die Kaltmiete. Um das zu umgehen, habe ich mir eine Zwischenmiete gesucht und auch gefunden: Über Facebook funktioniert die Wohnungssuche in Maastricht wesentlich besser, weil auch Untermieten angeboten werden, was auf den offziellen Seiten nicht der Fall ist. Oft verlangt der Vermieter aber auch hier diese Agency Fee, obwohl das Zimmer nicht über eine Agentur vermittelt wird. Vier sehr stressige und bange Wochen später, hatte ich dann eine Zwischenmiete für drei Monate bekommen. Wie sich später herausstellen sollte, wäre es besser gewesen, mir das Haus persönlich anzuschauen und nicht auf ein paar Fotos bei Facebook zu vertrauen… Pünktlich zum 01.02.15 zog ich nach Maastricht. Das Haus, in dem ich die ersten 3 Monate wohnte, war extrem dreckig, in einem schlechten Zustand und ich wohnte mit teilweise sehr dubiosen Mitbewohnern zusammen. Die Gegend war, obwohl ich nur 10 Minuten mit dem Rad ins wunderschöne Zentrum brauchte, herunter gekommen und sah überhaupt nicht aus wie der nette Kern von Maastricht. Glücklicherweise zog ich 3 Monate später in die Fußgängerzone an den Onze lieve Vrouweplein inmitten von Restaurants, kleinen Läden und Biobäckern in ein echtes altes Maastrichter Haus. Der Anfang an der MMIA war etwas holprig, da ich fälschlicherweise einen Monat zu früh nach Maastricht bestellt worden war. Ende Februar fuhr ich deshalb mit meinem Semester, den First Year MMIAs, auf Exkursion nach Wien, Prag und Brno. Das hat mir den Einstieg sehr erleichtert und ich fühlte mich bereits nach 2 Tagen als Teil der Gruppe.
Die MMIA bietet ein sehr intensives und persönliches Studium: Jeder duzt sich hier und alle 7 Dozenten möchten einen wirklich kennen lernen. Jede Woche hat man im laufenden Projekt mindestens 4 Konsultationen bei 4 verschiedenen Dozenten aus verschiedenen Bereichen. Mir hat es sehr gut gefallen, dass jeder der Dozenten seinen eigenen Blick und Input hat und sich Kompetenzen wie Architektur, Kunst, Urbanismus und Theorie ergänzen. Zusätzlich zu den Konsultationen gab es begleitend zum eigenen Projekt Vorlesungen, Theorieunterricht und Workshops (z.B. Architekturdarstellung mit Aquarell). Kleine Exkursionen wurden gemacht um die Themen zu vertiefen, die sich alle mit dem Kontext des Projekts befassten und Input und Inspiration lieferten. Das Projekt des Semester war „Concession – A Score for Place de la Cathédrale – space and society“ und befasste sich mit einem Platz in Lüttich, Belgien. Gefordert war eine Analyse des Platzes mit einer ausführlichen Recherche und anschlie- ßend die Neugestaltung und Konzepierung des Platzes.
Die MMIA hat ein eigenes Gebäude im Komplex der ABKM: Im wunderschönen Viktor de Steurs-Haus aus dem 13. Jahrhundert hat jeder einen eigenen Platz im Atelier (mit goldenem Stuck und Parkett!!) und in der gemütlichen „Tuinkamer“ (zu deutsch Gartenzimmer) werden die Vorlesungen abgehalten. Das First Year MMIA besteht nur aus 8 Studenten, deshalb ist es automatisch sehr privat und persönlich. Generell nimmt die MMIA nicht viele Bewerber an und konzentriert sich lieber auf wenige Auserwählte.
Maastricht ist eine Stadt zum Genießen. Wer gerne durch Einkaufsstraßen schlendert und auf alten Stadtmauern Kaffee trinkt ist hier genau richtig. Wunderschöne alte Gebäude werden von der Jeker umschlängelt und die breite Maas spaltet die Stadt in den eigentlichen Stadtkern und die östliche, hippere Seite Wyck wo viele Studenten wohnen. In Maastricht sind immer viele Touristen unterwegs, da Aachen, Köln aber auch Liège (Lüttich) nicht weit sind. Der Alltag hier bewegt sich meist auf dem Rad (Oma-Fiets!) durch die hügelige Stadt. Maastricht hat sehr viel Geschichte und da es glücklichweise gut in Stand gehalten wurde, kann man hier sehr viel erleben. Mit dem Rad geht es innerhalb von wenigen Minuten aus der Stadt heraus in die Weinberge oder an der Maas entlang nach Belgien. Grottenführungen zeigen dass die Stadt mehrere Ebenen hat. Im Sommer ist jeden Tag irgendwo Livemusik (Jekerjazz, Blaskapellen oder André Rieu‘s berühmtes Maastricht Konzert). Food Truck Festivals wechseln sich mit Musik- und Kunstveranstaltungen ab. Als Student sitzt man hier so oft wie möglich in einem der Parks, an der Maas oder auf der alten Stadtmauer im Sonnenuntergang. Abends ein Bier trinken, wäre möglich, aber das Maastrichter Studentenleben bedeutet arbeiten, arbeiten, arbeiten. Ein Partysemester verbringt man hier wohl nicht, aber die schöne Stadt mit ihren Märkten, den liebenswerten Einwohnern und der tollen Architektur entschädigt einen für seltene soziale Aktivitäten. Mir hat mein Semester in Maastricht sehr gut gefallen. Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich sogar die Masterarbeit hier schreiben wollen.
Die MMIA ist wirklich toll und ich habe mich selten so gut aufgenommen gefühlt. Die kleine Stadt an der Maas hat mich verschlungen, verändert und schweren Herzens wieder frei gelassen. Wenn ich noch mal hier herziehen würde, würde ich allerdings bei der Wohnungsauswahl kritischer sein und mir alles persönlich anschauen. Wenn ich ein bestes Erlebnis beschreiben sollte, würde ich sagen: Die vergangenen sechs Monate. Ich habe hier viele wunderbare Menschen kennengelernt, Freundschaften geschlossen und eine neue Lieblingsstadt für mich entdeckt, in die ich auf jeden Fall zurück kehren werde. Es viel mir sehr schwer dies alles zu verlassen.
Aus meinem ursprünglichem Notfallplan wurde ein besonderes halbes Jahr, dass ich jederzeit wiederholen würde