Studieren und leben in Jakobstad, Finnland
Nachdem mein Entschluss feststand, für ein Semester im Ausland zu studieren, habe ich mir nicht vorgestellt in einer ländlichen Kleinstadt zu landen. Dass ich hoch in den Norden wollte, da ich noch nie nördlicher als Dänemark unterwegs gewesen bin, war für mich Auswahlkriterium. Nach einer erfolgreichen Bewerbung in Finnland (Zweitwunsch), trat ich Ende August 2016 meinen Erasmusaufenthalt in Jakobstad an.
Dass ich mich ziemlich in das Land und insbesondere in das Städtchen an der Westküste (Jakobstad gehört übrigens zu Finnlandschweden, weshalb die erste Sprache dort auch Schwedisch ist.) verliebte, sodass ich nach vier Monaten nicht wie geplant gehen wollte, habe ich mir vorher auch nicht gedacht. Ich verlängerte um drei Monate. Der Abschied fiel mir danach umso schwerer.
Wie kam es dazu? Schaut man sich das Angebot der Partnerhochschule in Finnland an, so liest man zunächst nur von der Stadt Vaasa. Denn dort befindet sich der Hauptteil der Universität. Der Kunst- und Designzweig ist allerdings beim Campus Allegro untergebracht. Und der befindet sich eben in Jakobstad, ca. 100 km nordöstlich von Vaasa. Rund 250 Studenten studieren dort Freie Kunst, Grafik Design, Fotografie, Interior Design und Musik. Allerdings sind auf dem Campus noch weitere Einrichtungen wie eine Kunstschule für Kleinkinder, Internationales Business Programm und ein Pelzfachbereich untergebracht.
Der Campus an sich ist der Wahnsinn! Er wurde 2012 erneuert, wobei mehrere Gebäudekomplexe durch ein Glasdach miteinander verbunden wurden. So entstand ein überdachter Innenhof, in dem sich die Mensa und zwei Veranstaltungssäle befinden. Er wurde zum zentralen Treffpunkt für kulturelle Veranstaltungen. Nicht nur Studierende treffen hier zusammen, sondern alle Einwohner Jakobstads. Ich war sehr überrascht wie groß das kulturelle Angebot in einer so kleinen Stadt (ca. 19000 Einwohner) sein kann. Wöchentlich gab es Konzerte, Theater, Liveübertragungen, Festivals und Vorträge. Und das Beste dabei: Studenten erhalten für all jene freien Eintritt. Damit aber noch nicht genug. Schließlich gibt es noch zahlreiche Bars und Cafés, in denen zusätzlich Events wie Konzerte oder Vernissagen stattfanden. Musikliebhaber kommen hier besonders auf ihre Kosten – den Musikstudenten ist es zu verdanken, dass regelmäßig Konzerte organisiert werden.
So ist genau das Gegenteil eingetreten, von dem, was ich von Jakobstad erwartet habe. Nämlich, dass nichts geht in so einem kleinen Städtchen. Letztendlich wurde ich fast schon übersättigt. Gut, dass man gleich schon vor der Haustür in die Weiten unberührter Natur geworfen wird. Diese besteht größtenteils aus Wald, Wald, Wald und schönen Stränden. Von Ende August bis Mitte November verbrachte ich an sonnigen Tagen (und davon gab es viele) meine freie Zeit am liebsten mit Wandern, Beerenpflücken, mit dem Fahrrad die Umgebung erkundend oder einfach die Ruhe und Schönheit genießend. Noch ruhiger wurde es dann ab Dezember, als die Temperaturen teilweise bis -30 °Celsius abfielen und der Schnee alles überdeckte, der bis Ende März liegen blieb.
Für mich war es wirklich deutlich zu spüren, dass Finnland gegenüber Deutschland eine sehr geringe Einwohnerdichte hat. Es gibt einfach viel weniger Menschen und deshalb wesentlich mehr Platz für jeden Einzelnen. Nicht nur flächenmäßig, sondern auch in Bezug auf die persönliche Entfaltung. Und bei diesem Punkt kann ich auch direkt bei dem Studium weitermachen. Klar, dass bei einer Zahl von 250 Studenten eine viel persönlichere, fast schon familiäre Atmosphäre herrscht. Ich fühlte mich schnell
richtig wohl und aufgehoben. Zusammen mit noch einem französischen Austauschstudierenden kam ich in die Grafik Design Klasse mit 20 finnischen Studenten. Ich konnte mir vorab die Stundenpläne ansehen und selbst entscheiden, welche Kurse ich belegen wollte. Die des 2. Jahres Grafik Design sagten mir am meisten zu. Zusätzlich belegte ich noch zwei Kurse zusammen mit den Studierenden des 4. Jahres (Es gibt immer nur zwei Jahrgänge/Klassen im Bereich Grafik Design, auch bei der Fotografie).
Von meinen Klassenkameraden und den Dozenten wurden wir sehr herzlich aufgenommen und schnell wie eine „normale“ Studentin behandelt. Dass die Unterrichtssprache auf Englisch gewechselt wurde, war dabei sehr hilfreich, wenn auch etwas schade, da meine Motivation, Schwedisch zu lernen daraufhin gen Nullpunkt wanderte. Dabei ist die Sprache dem Deutschen sehr ähnlich, viele Worte versteht man ohne viel Vokabellernen.
Ein Kurs war immer für zwei Wochen veranschlagt, was für mich anfangs sehr ungewohnt war, da die Kurse an der Muthesius ja eher parallel über das gesamte Semester hinweg verlaufen. Zeitmangel beim Erledigen der Aufgaben war die Folge, was auch meinem eher konzeptionellen Arbeiten geschuldet war. Viele Kurse allerdings verlangten eben dieses nur in geringem Umfang. Das irritierte mich zunächst. Mit der Zeit gewöhnte ich mich dann an das schnellere Arbeiten und lernte, schneller Entscheidungen zu treffen und mehr meiner Intuition zu vertrauen. Ich bin sehr froh darüber, dieses andere Arbeiten/Gestalten gelernt zu haben.
Insgesamt waren die Kurse sehr verschult und praxisorientiert, mit meistens vielen kleineren Aufgaben, statt umfangreicher Projekte. Das kam mir gelegen, da ich so immer am Arbeiten war und viel Übung bekam, auch mit den Programmen. Zu Beginn eines jeden Kurses präsentierte uns der Dozent das Thema, gab Inspirationsmaterial, erklärte worauf es ankam und was von uns verlangt wurde. Danach arbeitete man alleine oder in Gruppen an den Aufgaben, wobei der Dozent stets für Hilfe und Korrekturen verfügbar war. Es war einem freigestellt, in dem Klassenraum zu arbeiten oder Zuhause. Am Ende wurden alle Ergebnisse innerhalb der Klasse präsentiert und diskutiert.
Außerdem wurden Gastlehrer, zum Beispiel eine bekannte finnische Illustratorin, ein- geladen, die auch Kurse abhielten. Zwischenzeitlich gab es Exkursionen nach Vaasa und Helsinki.
Insgesamt war ich mit dem Kursprogramm mehr als zufrieden. Als Student hatte man extrem viele Freiheiten in Bezug auf individuelles Gestalten und wurde in seinen persönlichen Vorlieben angenommen und unterstützt. Als Austauschstudentin hatte ich zudem noch die Möglichkeit, die Werkstätten (abgespeckter im Vergleich zur Muthesius) zu nutzen.
Allerdings würde ich sagen, dass der Anspruch im Ganzen eher unter dem der Muthesius liegt.
Neben all der Schwärmerei fällt mir gerade wirklich nur ein Negativpunkt ein. Das Studentenwohnheim. Die Chancen auf ein WG-Zimmer stehen relativ schlecht, aufgrund der geringen Studentenanzahl insgesamt. Doch es gibt die Möglichkeit, ein Zimmer im Studentenwohnheim, etwas außerhalb, aber dennoch nur 10 Gehminuten vom Campus entfernt, zu beziehen. Eine Fehlinformation, die auch auf Nachfrage angegeben wird, ist, dass alle Zimmer unmöbliert seien. Das ist glücklicherweise nicht der Fall, wie ich nach meiner Ankunft feststelle. In vielen Zimmern gibt es Möbelstücke. Allerdings ist es Glückssache, wie groß die tatsächliche Ausstattung in dem zugeteilten Zimmer ist. Während meines Aufenthaltes kam es oft vor, dass Möbel innerhalb des Wohnheims umverteilt wurden. Wir Erasmusstudenten halfen uns gegenseitig aus und auch die finnischen Studenten liehen uns Möbel. Im Notfall gibt es aber auch die Möglichkeit, in den zahlreichen ständigen Flohmärkten günstig an Möbel und Küchenutensilien zu kommen.
Dann gibt es noch die Möglichkeit, sich eine „survival -box“ auszuleihen. Darin befinden sich nützliche Dinge wie Bettdecken, Kissen, Kochtopf, Geschirr und Besteck. Man „überlebt“ damit zwar, aber wirklich nur sehr spartanisch.
Ein erkenntnisreicher Nebeneffekt, der aus dem Mangel an Alltagsgegenständen eintrat, war, dass ich herausgefunden habe, wie wenige Dingen man braucht, um dennoch zurecht zu kommen und sich wohl zu fühlen.
Ach ja, als Student mit schmalem Portemonnaie ist es ein Ding der Unmöglichkeit viel zu reisen. Jedenfalls wenn man die öffentlichen Verkehrsmittel benutzen möchte.
Jakobstad hat keinen Bahnhof. Man muss also immer erst mit dem Bus zur nächstgrößeren Stadt fahren, um irgendwo anders hinzukommen. Und Bus- wie auch Zugtickets sind ziemlich teuer, trotz des Studentendiscounts. Dennoch würde ich unbedingt raten, manche Unternehmung vorzunehmen. Zum Beispiel lässt es sich günstig von Helsinki aus nach Tallin weiterreisen. Von dort aus ist es dann auch nicht mehr weit nach Riga.
St. Petersburg wäre auch noch ganz in der Nähe. Und Lappland ist sowas von eine Reise wert! Schon allein der Nordlichter wegen. Die gab es sogar auch in Jakobstad zu sehen, was allerdings eher selten vorkommt.
Es lohnt sich ungemein, ein Fahrrad anzuschaffen (preiswert auf dem Flohmarkt kaufen, oder leihen). Denn so kann man die Stadt und die Umgebung am besten erkunden.
Während meines Aufenthaltes habe ich mich eigentlich gar nicht wirklich wie eine Erasmusstudentin gefühlt. Das liegt zum einen daran, dass es nur eine Handvoll andere Austauschstudenten in Jakobstad gab und ich deshalb automatisch mehr mit den einheimischen Studenten zu tun hatte. Und zum anderen an der aufgeschlossenen, hilfsbereiten, herzlichen Art der Finnen, die mich voll als Mitstudentin und später auch als Freundin aufnahmen. Was ich am meisten schätzte war die überaus große Toleranz einem jeden gegenüber. Und die Freiheit, die ich hier bekommen habe, genau das zu tun, worauf ich Lust habe und was mir liegt.
Was ich am Ende dieses Berichtes noch sagen möchte ist, dass es die perfekte Entscheidung sein kann, ein Auslandssemester in Jakobstad zu verbringen. Für mich war sie es jedenfalls, auch wenn ich zunächst lieber woanders gelandet wäre. Vermutlich lassen sich ähnliche Erfahrungen in Bezug auf das Studium, die eigene Entwicklung etc. auch in anderen Ländern und Städten sammeln. Denn ein Perspektivenwechsel und etwas Abstand zu dem, was man eigentlich tut, tritt in jedem anderen Ort ein, auf den man sich einlässt und eine gewisse Zeit verbringt.
- Bericht aus Jakobstad
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