Mit der Tram ist man allerdings auch relativ günstig und schnell im Zentrum. Von den anderen 11 Erasmus-Studenten weiß ich, dass man aber auch relativ schnell ein WG-Zimmer finden kann.
Die Erasmusgruppe bestand aus 13 Studenten aus allen möglichen Teilen der Welt: Spanien, Italien, Kanada, Polen, Slowenien, Indien. Es hat geholfen sich zusammen in allen Dokumenten zurecht zu finden und sich immer über alle Neuigkeiten austauschen zu können.
An der Hochschule herrscht ein positives und kreatives Klima, in dem sehr viel in Gruppen zusammengearbeitet wird. Ein Großteil der Studentenschaft kam aus dem Raum Paris. Die Hochschule genießt trotz ihres jungen Alters in Frankreich schon ein recht hohes Ansehen. Nicht zuletzt wegen der Biennale, die alle 2 Jahre stattfindet. Der Schwerpunkt lag aber, wenn ich das mit der Muthesius Kunsthochschule vergleiche, mehr auf einem künstlerischen und experimentellen Ansatz, was mir aber auch sehr gut gefiel. Es war definitiv weniger technisch und beruhte mehr auf natürlichen Rohstoffen als auf Kunststoffen. Einer der Gründe war dafür war die fehlende Kunststoffwerkstatt. Die Holz- und Metallwerkstätten waren aber wiederum sehr gut ausgestattet. Es gab keine besondere Einführung in die Maschinen, sondern nur ein paar Wahnhinweise. Dafür durfte man aber wiederum nicht alleine an der Kreissäge arbeiten, wie hier an der Muthesius. Woran ich mich ebenfalls erstmal gewöhnen musste, war, dass es keine 24-Stunden-Werkstatt wie in der Muthesius Kunsthochschule gab, sondern die Ateliers schon um 17 Uhr geschlossen wurden. Während der Mittagspause, die in Frankreich einen sehr hohen Stellenwert genießt und von 12 bis 14 Uhr geht, haben die Werkstätten ebenfalls geschlossen. Leider sind auch viele Kurse aufgrund von Bahnstreiks und anderer Hindernisse ausgefallen, was den Arbeitsfluss immer wieder unterbrochen hat. Nichtsdestotrotz waren die Möglichkeiten, aufgrund des riesigen Geländes und der großen Ateliers, dann schon recht groß. Die Professoren waren sehr kooperativ und man konnte trotz teilweiser sprachlicher Hindernisse alles irgendwie diskutieren und seine Vorstellungen erklären.
Insgesamt habe ich über das Semester hinweg an drei großen Designprojekten gearbeitet und einem kleineren Fotoprojekt, das sich mit einem Stadtviertel namens „Crêt de Roc“ befasste.
Zum einen habe ich zum Thema „Gigogne“ einen Tisch gebaut, welcher aus mehreren mobilen Elementen bestand und so ineinandersteckte, dass man seine Abstellfläche leicht erweitern konnte.
Das zweite Designprojekt hatte die Überschrift „Foyer“ und befasste sich mit einer Umgebung, in der sich Menschen versammeln und wohl fühlen. In Inspiration von Urlauben in Dänemark habe ich eine Liege für den Strand entwickelt, die sich in die natürliche Umgebung eingliedern sollte und dort dauerhaft stehen sollte.
Es gab an der Hochschule auch eine Workshop-Woche, die ein wenig unserem Kurzprojekt ähnelte, wobei man aber zwischen mehreren Projekten auswählen durfte. Einige beschäftigten sich mit China, da wir chinesische Designstudenten zu Gast hatten. Meine Arbeitsgruppe hat sich mit chinesischer Kultur als Einfluss auf französisches Design beschäftigt, aus dem dann ein Vorhang, ein Teeset, ein Raumteiler und ein Mantel als Produkte resultierten. Alle waren von chinesischen Traditionen und Eigenheiten inspiriert und wurden mit diesen Einflüssen zu modernen Produkten entwickelt.
Während meiner Studienzeit habe ich auch einen Französischkurs besucht, um in erster Linie meine Projekte besser präsentieren und die Vorlesungen verfolgen zu können. Es gab einen Anfängerkurs und einen Fortgeschrittenenkurs. Ich habe mehrmals von einem in den anderen Kurs gewechselt, weil mein Niveau irgendwo zwischen den Kursen lag.
In Saint-Etienne kann man vielen verschiedenen Aktivitäten nachgehen. Die Studenten treffen sich oft in den Pubs und Kneipen im Zentrum. Dort gibt es viele gemütliche Pubs wie zum Beispiel The Soggy Bottom, The Smoking Dog oder der Irish Pub. Als Student der ESADSE kann man auch das günstige und breite Sportangebot der Universität Jean Monnet nutzen. Hier bin ich des Öfteren zum Badminton gegangen und hatte dort viel Spaß, weil man dort sehr herzlich aufgenommen wurde. Dort habe ich auch einen Freund aus Marseille gewonnen, der mich später auch zu einem Fußballspiel eingeladen hat und mit dem ich immer noch in Kontakt stehe. Es gibt einige schöne Parks, aber auch die Friedhöfe, die meist, wie auf dem Crêt de Roc, auf Hügeln gelegen sind, sind einen Besuch wert.
In der Nähe der Hochschule gibt es ein nettes Theater namens La Comèdie, welches erst vor ein paar Jahren eröffnet wurde. Dort habe ich mir mit ein paar Freunden ein Theaterstück angeschaut. Es ist wirklich ein sehr schönes modernes Theater und die Schauspieler waren hauptsächlich junge Studenten, mit denen man sich nach dem Stück im Foyer noch nett unterhalten konnte. Das kann ich jedem empfehlen, der vielleicht auch mal in Saint-Etienne studieren möchte. Allgemein gesprochen werden viele kulturelle Angebote staatlich gefördert, sodass man die Kinos, Museen und Theater teilweise sogar kostenlos besuchen konnte.
In ganz Saint-Etienne verteilt gibt es viele Ateliers und Kunstausstellungen von Studenten und Ehemaligen, von denen ich einige besucht habe. Der Fußballverein von Saint-Étienne hat eine
geschichtsträchtige Vergangenheit hinter sich. Wenn man also auch fußballbegeistert sein sollte, lohnt sich auch ein Besuch im Stadion.
Die öffentlichen Verkehrsmittel sind günstig. Mit den Trams, die hauptsächlich vom Norden bis in den Süden der Stadt gehen, kommt man überall relativ schnell hin. Am besten man kauft sich eine 10er-Karte, wenn man häufiger mit der Tram fährt.
Am Ende der vielen Arbeit an den Projekten stehen die Bilans. Dort stand fast mehr die Präsentation der Arbeiten im Vordergrund als die Arbeiten selbst. Die Präsentationen waren erheblich analoger als es hier an der Muthesius der Fall ist. Es wurde also weder Laptop noch Beamer eingesetzt. Jeder hatte im riesigen Atelier eine Ecke mit Stellwänden und Tischen bekommen und durfte seine Werke dort nach seiner eigenen Facon einrichten und darstellen. Dann hatte jeder Student 15 Minuten, um alle seine Projekte vorzustellen. Die Professoren sind dann durchs Atelier gegangen und haben sich während der Präsentationen die Fotos und Recherchearbeiten genau angeguckt. Ich habe lange überlegt, ob ich es auf Englisch oder Französisch vorstellen sollte. Letztendlich habe ich alles auf Französisch vorgestellt, was die Professoren nach deren Aussage schätzten.
Da ich schon im Februar mein Auslandssemester in Saint-Étienne antrat und die Nähe zu den Alpen und dem Zentralmassiv bestand, nutzte ich und ein paar weitere Studenten, die Gelegenheit, um auch zusammen Ski zu fahren. Dies ist dank einer sehr guten Busverbindung auch gar nicht schwierig gewesen. Ich habe auch einige Städte besucht, die alle ein buntes Kulturangebot boten. Musikfestivals und Ausstellungen. Ich war im März in Bordeaux. Glücklicherweise hatte ich eine Woche zuvor zwei Studentinnen aus Bordeaux getroffen, die mir ihre Stadt dann nahebringen konnten. In Genf habe ich mir zusammen mit einer anderen italienischen Erasmus-Studentin das Muca angeschaut. In Marseille war ich alleine. Man lernt aber sehr schnell nette Leute kennen und mein Gastgeber, der sonst unter anderem als Touristenführer arbeitet, konnte mir viele interessante Orte zeigen. Man sollte unbedingt die Calanques einmal besuchen und der alte Hafen mit seinen vielen Kunstmuseen ist auch sehr zu empfehlen. Rund um Notre Dame du Mont ist es besonders lebendig und man kann gute Musik hören und Streetart bestaunen. Zufälligerweise war dort gerade die Fête de la Musique und dementsprechend gab es ein großes Spektrum von Konzerten in der Stadt.
Ich bin rückblickend sehr glücklich mit der Entscheidung in Saint-Étienne ein Auslandssemester verbracht zu haben. Die Eindrücke, die ich dort gewonnen habe, halfen mir dabei, neue Betrachtungen und Ansätze für mein Design zu berücksichtigen und ein breiteres Spektrum an Fachgebieten kennenzulernen. Aber ein nicht zu unterschätzender Teil dieser Zeit, war die Zusammenarbeit und das Leben mit den französischen Studenten und den neugewonnenen Freunden. Diese Erfahrung möchte ich nicht missen und deshalb ist so ein Auslandssemester wirklich zu empfehlen. Glücklicherweise haben sich auch meine mangelnden Französischkenntnisse einigermaßen verbessert. Dabei hilft auch, dass man in Frankreich nicht einfach auf Englisch ausweichen kann, da die Bereitschaft der Franzosen, Englisch zu sprechen, eher schwach ausgeprägt ist. Ich hatte keinen Französischunterricht während meiner Schulzeit, aber wenn man vorher und während des Aufenthalts etwas Zeit investiert, lernt man doch schnell dazu.
In Frankreich ist einiges etwas chaotischer und unkoordinierter als man es vielleicht aus Deutschland kennt, aber deswegen sollte man nicht gleich aufgeben, denn diese Art der Franzosen bringt auch angenehme Aspekte mit sich. Das Leben wird aus meiner Perspektive leichter genommen und Mahlzeiten werden ausgiebiger zelebriert als in Deutschland. Es wird mehr geplaudert und getanzt. Das habe ich so dort auch auf vielen Feiern erlebt. Im Alltag auf der Straße können die Franzosen manchmal aber auch verschlossen sein, was sich aber von Region zu Region wohl auch stark unterscheiden mag. Ich hoffe, dass meine Begeisterung für dieses Land, die Hochschule und meine Zeit dort herübergekommen ist.