In Holland war ich schon des Öfteren. In Groningen allerdings noch nie. Als ich mich ca. ein Jahr vor meinem geplanten Auslandsaufenthalt umgesehen hatte, wo ich denn hin wolle, gab es mehrere Optionen. Die Partnerhochschulen der Muthesius oder etwas auf eigene Faust suchen. Ich begeisterte mich zuerst für die Akademie der Bildenden Künste in Wien, wo zu der Zeit Manfred Pernice lehrte und auf dessen Klasse ich mich bewarb.
Wegen mir wurde damals dann ein bilateraler Vertrag mit der Hochschule in Wien geschlossen, damit ich im Erasmusprogramm blieb. Leider wurde das ein paar Tage zu spät angeleiert und die Bewerbungsfrist war verstrichen ehe der Vertrag unter Dach und Fach war. Da ich das Auslandssemester aber fest eingeplant hatte, griff ich doch auf (damals) schon bestehende Partnerhochschulen zurück.
Aus meinen früheren Hollandbesuchen wusste ich, dass das niederländische Königreich sehr viel übrig hat für Kunst im Allgemeinen aber eben auch insbesondere für junge, zeitgenössische Kunst.
Ich bewarb mich also in Groningen an der Academie Minerva, die verwaltungstechnisch zur Groninger Hanzehogeschool gehört. Wurde genommen und war erstmal verwirrt, weil mit meiner Zusage ungefähr zwei Monate vor dem holländischen Semesterbeginn keine Informationen über eine Unterbringung während des Aufenthalts mitgeliefert wurden. Auch auf telefonische Nachfrage im Fernwehbüro der Hanze Hochschule ergab sich daraus nichts.
Es gibt wohl eine Art studentische Verwaltung über Wohnheimsplätze, allerdings kostet die Anmeldung dort alleine schon 300,- Euro, die Kaution und irgendwelche sonstigen Gebühren und so weiter noch einmal ca. 350,- Euro. Alles in allem lag das weit über meinem Budget.
Dazu muss ich sagen, dass es in Groningen keine hochschuleigenen Wohnheime gibt. Eigentlich gibt es überhaupt keine ausgewiesene Studentenwohnheime, sondern nur Riesenwohnblocks, die eben offiziell nur an Studenten vermietet werden.
Also bin ich vor Semesteranfang für eine Woche selbst nach Groningen gefahren, auch um mich schon mal ein bisschen mit der Stadt vertraut zu machen und um mir meine zukünftige Uni anzuschauen.
In Groningen ergab sich selbst nach einer Woche… Nichts! In keiner Zeitung und an keinem schwarzen Brett in der ganzen Stadt mit ihren zwei Tageszeitungen und vielen akademischen Institutionen fand ich auch nur den Anschein eines privaten Wohnungsmarktes, wie ich das aus Deutschland kenne. Wieder zuhause fand ich mehrere Internetseiten und Makler, die alle lange Wartelisten hatten und ziemlich viel Vermittlungsgebühren verlangten. Als ich bis zwei Tage vor meiner Abreise aus Kiel keine Wohnung gefunden hatte, nahm ich mir vor in den ersten Wochen doch noch mal auf eigene Faust zu suchen und mich vielleicht mit anderen (Austausch-) Studenten zusammen zu tun und gemeinsam was zu suchen.
Erste Wohnstation war also (weil Hostel auf Dauer zu teuer) der Groninger Campingplatz im Stadspark. Das hieß, jeden Morgen und Abend einen Fußmarsch von ungefähr einer dreiviertel Stunde zur Uni. Beim ersten Treffen mit den anderen Austauschstudenten des Wintersemesters 2008/09 sprachen mich zwei polnische KoDeler, Anna und Marcin an, die auch noch keine Wohnung hatten und die ersten Tage im Hostel wohnten. Zu dritt sucht sich auf jeden Fall schon mal leichter… Wir hatten bei unserem ersten Treffen aller Austauschstudenten ca. zwei Stunden Mittagspause, bevor wir uns wieder trafen und Marcin und ich wollten auf unsere neue Freundschaft ordentlich einen heben. Gesagt, getan. Wir setzten uns in einen gechillten Pub in der Altstadt und fragten nebenbei die Wirtin ob sie nicht was von günstigen Wohnungen für Studenten wisse. Sie kannte zufällig eine Maklerin mit klitzekleinem Büro in derselben Straße. Nachdem unser Durst gestillt war, fragten wir dort an und erhielten ein Angebot, das für holländische Verhältnisse sogar relativ günstig gelten kann. Zwei Zimmer mit vier Betten für 1000,- Euro. Gemeinsam mit Anna suchten wir noch zwei weitere Tage erfolglos nach anderen Angeboten, um dann doch bei unserer Maklerin einzuschlagen.
Es stellte sich heraus, dass unsere Wohnung ein ganzes Haus ist, das eben nur zwei Zimmer enthält. Eines unten als Erdgeschoss und eines oben. Unten war das Wohnzimmer mit offener Küche, Waschmaschine und abgetrenntem Klo. Oben befanden sich zwei Stockbetten, eine (nicht abgetrennte) Dusche und ein großes Waschbecken. Für deutsche und vor allem Kieler Verhältnisse also richtig teuer. Naja, zu dritt… bezahlbar.
Nach wenigen Tagen zog noch ein befreundeter, bulgarischer Student ein. Ivan, der regulär an der Hanze eingeschrieben ist, dort International Communication studiert und während unseres Auslandssemesters sein Erstsemester absolvierte. Das Haus steht in einer Art Hinterhof zwischen Oudeweg und Nieuweweg, am Rande der Altstadt. Zeitgenössische Galerien, Partymeile, Supermärkte, Pubs und Coffeeshops waren alle in ein, zwei Minuten zu Fuß zu erreichen. Die Uni war ca. 12 Gehminuten entfernt.
Im Studium lief alles super gut. Die holländischen und internationalen Studenten in der Freien Kunst sind alle total offen, herzlich und freundschaftlich. Auf Anhieb und ohne Vorurteile. Die Dozenten ebenso.
Schnell fühlte ich mich in der Bildhauerklasse total wohl und wie zuhause.
Der Unterricht läuft ähnlich ab wie der in Kiel. Sicher gibt es auch größere Unterschiede, z.B. in der Didaktik. Neben unserem Klassenprof, der in Holland Tutor heißt und namentlich Nico Gerbenzon, gibt es weitere Dozenten für Fachbereiche innerhalb der Fachklassen, für mich waren das z.B. Hanns van der Pennen für Interventionen im öffentlichen Raum, Yael Davids für Performance und Sef Peeters für… ja, eigentlich keine Ahnung, was der so genau unterrichtet hat.
Leider begegnete ich ihm nur zweimal, da er zu diesem Zeitraum sehr krank wurde. Innerhalb dieser Dozenten und ein paar weiteren kann man wählen, welches Angebot einen interessiert. Auch die Möglichkeit, Arbeitsgespräche mit anderen Tutoren zu führen oder die Teilnahme an Klassentreffen anderer Klassen, empfand ich als große Offenheit. So saßen bei den Treffen der Bildhauerklasse oft Leute aus der Freien Grafik, der Malerei oder der Medienklasse mit bei.
Die holländischen Kunststudenten waren im Vergleich zur Klasse in Kiel alle noch recht jung und teilweise etwas zurückhaltend und schüchtern bei Reflexionen und Kritiken der Arbeiten von Kommilitonen. Dennoch ließ ich nie locker und fand schnell Anschluss, auch privat.
Mit einem anderen Austauschstudenten, Mitsuya aus Japan unternahm ich viel und wir unterhielten uns oft über unsere Kunst, unsere Unis zuhause, unsere Projekte und die Unterschiede zwischen Groningen und unseren sehr unterschiedlichen Heimaten. Letztendlich beschlossen wir, eine gemeinsame Arbeit zu schaffen. Was das genau war, könnt ihr euch auf den Bildern ansehen. Aber wir fanden raus, dass es außer den uns zugewiesenen Arbeitsräumen in der Academie Minerva noch andere, externe Arbeitsräume für Kunststudenten gibt.
Im Industriegebiet Ulgersmaweg, die eigentlich für die regulären Studenten vorbehalten waren, uns aber für unser Projekt, das etwas größer ausfiel, offen stand. Dort war eine Arbeitsatmosphäre, wie ich sie mir wünschte: Alle möglichen Künstler aus allen Fachbereichen arbeiteten in ihren Ecken, Büros und Nischen in einer ehemaligen (riesigen)Fabrikhalle mit angeschlossenem Bürotrakt.
Wir kamen mit allen ins Gespräch und machten unregelmäßig und situationsbedingt mit allen Party. Mit vielen halte ich heute noch engen Kontakt. Ebenso wie mit den anderen Austauschstudenten aus ganz Europa (Portugal, Polen, Frankreich, Italien, Griechenland, Spanien, Bulgarien) und aus aller Welt (China, Japan, Korea, USA, Brasilien, Bolivien, Kenia).
Und so wie sich diese Aufzählung anhört, ist auch die Stadt Groningen selbst. Von der Zahl der Einwohner kleiner als Kiel, hinterlässt sie doch den Eindruck einer großen internationalen, kreativen Metropole. Mit ihren vielen akademischen Institutionen (Universität Groningen, Hanze-Hochschule, Musikkonservatorium, Frank-Mohr-Institut für Freie Kunst ( für M.F.A.-Studierende) und der Academie Minerva), ist sie ein Sammelbecken für Studierende aus aller Welt im holländischen Norden.
Noch zwei Anmerkungen: Groningen ist im Vergleich zu Kiel richtig teuer, was die Lebenshaltungskosten, z.B. Essen usw. betrifft. Außerdem sollte man wirklich rechtzeitig die BAFöG-Förderung beantragen. Bei mir war das etwas knapp, weil ich erst davon ausging, dass ich nach Wien gehe. Ich bekam das Geld, erst als ich längst wieder in Kiel war.
Orell
Klasse für Bildhauerei
Skulptur | Installation | Raumkonzept